Der Krieg in der Ukraine - aktuelle Lage und die Auswirkungen auf Europa

Aufgrund der aktuellen Lage sprach der Außen- und Sicherpolitische Experte der CDU-Bundestagsfraktion Roderich Kiesewetter im Rahmen einer gut besuchten Videokonferenz.
Sein Impulsvortrag setzte sich aus drei Teilen zusammen:
Wie kam es dazu ?
Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes 1994, war die Ukraine die drittstärkste Nuklearmacht der Welt und verzichtete freiwillig und bewusst auf diese Waffen. Die durch Russland, Amerika und Großbritannien im Budapester Memorandum zugesicherte staatliche Integrität und Unverletzlichkeit seiner äußeren Grenzen schienen Garant genug für die Zukunft. 1999 drang Russland in Tschetschenien ein und zerstörte die Stadt Grozny fast vollständig. 2008 marschierte Russland nach einem ähnlichen Muster in Georgien ein. 2014 annektierte Russland die Krim und nahezu zeitgleich besetzten russische Separatisten die Donbass-Region. Der mühselig erreichte Minsker Prozeß hielt nicht lange. Infolge dieser kriegerischen Auseinandersetzung gab es ca. 15.000 Tote und mehr als 2 Mio Vertriebene, die zu großen Teilen durch Polen aufgenommen wurden. Bereits hier zeigte sich, dass der frühere ukrainische Besitz von Atomwaffen diese russischen Waffengänge wahrscheinlich verhindert hätte. Seit April 2021 hat Russland den Einmarsch in die Ukraine sowohl wirtschaftlich (z.B. Reduzierung der Gas- und Düngemittellieferung) als auch militärisch (Zusammenziehen von ca. 200.000 Mann an den Grenzen und Durchführung der größten Manöver seit 1945) intensiv vorbereitet. Die letzten klaren Zeichen für einen kurz bevorstehenden Angriff gab es dann im Januar/Februar 2022 als Russland sowohl mobile Krematorien als auch mehrere 100.000 Blutkonserven in das russisch-belarussische-ukrainische Grenzgebiet verbrachte. Die nahezu zeitgleich laufende intensive Pendeldiplomatie konnte den russischen Angriff nicht mehr verhindern.
Wie ist die Lage jetzt ?
Am 24. Februar startete Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine klassisch mit massiven Luftschlägen, Einsatz von Cruise Missile, Artillerie und Luftlandekräften. Der Plan für einen Blitzkrieg (auch erkennbar an der geringen mitgeführten Menge an Verpflegung, Kraftstoff und Munition) zeigte bereits nach drei Tagen seine Schwächen und die ukrainischen Streitkräfte wehrten sich erfolgreich mit von außen gelieferten Waffen und Raketen und sehr hoher Kampfmoral erfolgreich. Nach nun mehr als einem Monat Krieg wird klar, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren muss. Die russischen, völkerrechtswidrigen Angriffe auf die zivile Bevölkerung, zivile Infrastruktur, Krankenhäuser und Kulturgüter haben verheerende Wirkung und führten bisher zu mehr als 11 Mio Personen auf der Flucht in die westlichen Landesteile, wovon bereits mehr als 3 Mio in Polen und dem restlichen Europa angekommen sind. Die humanitäre Lage in Städten wie Mariupol ist verheerend. Wiederholt beabsichtigte Evakuierungen von Zivilpersonen unter Regie des Roten Kreuzes scheiterten immer an Russland. Die Anzahl der Toten ist bisher unbekannt und schwer zu ermitteln.
Wie geht es weiter ?
Die bisherigen Gespräche zwischen Russland und der Ukraine sind wenig zielführend, da Russland noch nicht einmal Waffenruhen zur Bergung von Toten oder zur Versorgung des eingeschlossenen Zivilpersonals zulässt. Am 9. Mai wird sich zum 77. Mal das Ende des 2. Weltkrieges wiederholen, den Russland immer feierlich begeht. Wenn der Ukraine-Krieg bis dahin durch Russland nicht gewonnen wurde, ist auch der Einsatz von Atom- und Chemischen Waffen nicht auszuschließen. Minimumziel von Russland scheint nur noch die Abtrennung der Ostukraine und als Folge der immensen Flüchtlingsströme eine Destabilisierung Europas zu sein. Somit steht auch unsere Freiheit auf dem Spiel. Hinzu kommt, dass Russland seine Nichtanerkennung der Selbständigkeit von u.a. Moldau und den baltischen Staaten zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen nutzen kann. Putin muss deshalb Einhalt geboten werden. Knackpunkt für Deutschland ist die große Abhängigkeit von russischen Energielieferungen und deshalb ist mit massiven Einschränkungen zu rechnen.
Die vom Bundeskanzler Scholz am 27. Februar angekündigte Zeitenwende in Form des 100 Mrd. Finanzpaketes für die Bundeswehr, die dauerhaften 2 % des BIP für Verteidigung, die Bestätigung der nuklearen Teilhabe und die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitsstrategie sind zwar positiv zu bewerten, führen aber nicht zu kurzfristigen Lösungen. Die CDU wird die Regierung in dieser tiefgreifenden Krise unterstützen, dennoch darf das nicht dazu führen, dass über absehbare und mögliche negativen Auswirkungen nicht klar gesprochen wird. Aus Sicht von MdB Kiesewetter gibt es keine guten Aussichten und keine positiven Botschaften. "Ich habe nie gedacht real Krieg zu erleben", so sein Schlussstatement vor der abschließenden Diskussion.