Die Senioren-Union des Zollernalbkreises möchte das Thema Wohnungsnot auf die politische Agenda setzen, weil es nach den Worten ihres Kreisvorsitzenden Armin Bachmeyer eines der großen sozialen Herausforderungen unserer Zeit ist. Bundesweit fehlen derzeit etwa 550.000 Wohnungen.
Auf dem Land ist die Situation laut Bachmeyer grundsätzlich zwar etwas besser, doch auch hier gilt: Günstiger Wohnraum ist vor allem in Gemeindeteilen zu finden, die nur unbefriedigend mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Besonders ältere Menschen sind auf eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr angewiesen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, Arztbesuche wahrzunehmen oder Einkäufe zu erledigen.
Deshalb hat die Senioren-Union zu einer Veranstaltung mit dem wurden die Ausführungen des Biberacher Honorarprofessor Gerhard Lutz in das Gasthaus Krone in Winterlingen eingeladen. Die Vorschläge des Holzbauexperten wurden Interessiert wahrgenommen und lebhaft diskutiert.
Über 11 Millionen Menschen leben heute in Baden-Württemberg und der Bevölkerungsanstieg soll sich, so die Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), in praktisch allen Landesteilen ungebremst fortsetzen. Es prognostiziert in der kommenden Halbdekade (2025 – 2030) deshalb einen Wohnungsneubaubedarf je nach Landkreis von 45 bis 75 Wohnungen pro 10 000 Einwohner, also mindestens 50 000 Wohnungen pro Jahr für ganz Baden-Württemberg. Demgegenüber sind die Neubauzahlen für Baden-Württemberg ernüchtern, denn 2024 wurden nur noch 31716 Wohnungen fertiggestellt. Drastisch gestiegene Nachfrage trifft auf zu kleines Angebot, was zu massiven Teuerungen bei den Mieten führt. Bisherige Maßnahmen der Politik laufen ins Leere. Zuckerbrot (Ausreichung von Fördermittel) und Peitsche (Mietpreisdeckel) scheinen nicht oder mindestens noch keine Wiederbelebung der Bautätigkeit zu bewirken. Dass die Zahl der Sozialwohnungen 2024 nochmal um 26 000 auf nur noch 1 046 000 geschrumpft ist, verschärft die Wohnsituation besonders in den wirtschaftlich prosperierenden Regionen unserer Heimat. Dabei könnte allein das Erreichen der Mindest-Zielvorgabe 320 000 jährlich errichteter Neubau-Wohnungen (die abgewählte Ampelregierung wollte sogar 400 000 bauen lassen) das Brutto-Inlandsprodukt in Deutschland um 0,7 % anwachsen lassen, ganz abgesehen von den zusätzlichen Steuereinnahmen, die für den Staat zu erzielen wären, wenn in erforderlichem Masse gebaut werden würde. Dass es nicht die eine Maßnahme sein wird, die den Wohnungsbau ankurbeln wird, erläuterte der Hochschullehrer und CDU -Kommunal-Politiker an Hand von 5 Thesen.
These 1:
Senioren übergeben Ihre Häuser der nächsten Generation
Senioren wollen in der Ortsmitte leben, in komfortablen barrierefreien Wohnungen fußläufig zu Einkaufsmöglichkeiten, Ärzten und öffentlicher Infrastruktur. Professor Lutz erläuterte am Beispiel der Wohn- und Baugemeinschaft IGLU in Herbertingen wie er 2018 für fünf Seniorenpaare ein gemeinsames Domicil schaffen konnte und wie rasch die von den Senioren aufgegebenen fünf Einfamilienhäuser wieder von jungen Familien bewohnt wurden. Mit fünf seniorengerechten Neubauwohnungen wurde bestimmungsgemäßer Wohnraum für über 30 Personen geschaffen.
These 2:
Im Ländlichen Raum gilt: Bauen in den Ortskernen und aufgelassenen Betriebsgelände muss priorisiert sein.
Neubaugebiete sind teuer. Was bisher Wiese, Acker oder Wald war wird für Generationen in Wohngebiete umgewandelt. Selbst in Unter- oder Kleinzentren unserer Region müssen Kommunen für neuerschlossene Baugebiete häufig 150,- €/m² erzielen, um die angefallenen Grunderwerb- und Erschließungskosten zu decken. Unberücksichtigt werden dabei häufig die Langzeitkosten für die Dörfer und Kleinstädte. Deren Infrastruktur wird durch Neubaugebiete am Ortsrand immer weiter aufgebläht, ohne dass deren Einwohnerzahl signifikant steigt. Das Geld für die mögliche Sanierung von alter Infrastruktur und Gebäuden in den Zentren fehlt sowohl von kommunaler als auch von privater Hand. Ortskerne veröden und Häuserleerstand breiten sich aus.
These 3:
Import von Bauleistungen
Neben den gestiegenen Energiekosten für die Herstellung von Baumaterialien und den gestiegenen Löhnen für Baubeschäftigte ist die Hauptursache für die drastisch gewachsenen Baupreisen, die zu geringe Effizienz der Bauindustrie. Während die Produktivität z.B. der Maschinenbau- Elektro oder Fahrzeugindustrie in Deutschland in den letzten drei Jahrzehnten um insgesamt ungefähr 60 % gestiegen ist, ist sie in Baubranche um 3 % gesunken. Die Exportnation Deutschland kann dagegen Maschinen, Anlagen und Fahrzeuge exportieren. Dies gilt aber offensichtlich nicht für Bauprodukte.
Deutsche Baumaschinen und Anlagen jedoch sind weltweit gefragt und erzeugen (z.B. in relativen Niedriglohnländern wie Lettland, Estland, Litauen, Slowenien, Bosnien, um nur einige zu nennen) Bauprodukte und Bauteile, die das Bauen in Deutschland preiswerter machen werden. Offensichtlich hat erst die Herstellung von Solarmodulen in China (mit Hilfe deutscher Anlagen) diese Anlagen derart erschwinglich gemacht, dass sich heute praktisch jeder Mieter eine Balkonanlage leisten kann. Das beweist, dass mit deutscher Technik im Ausland hergestellte Bauteile, ja ganze Fertighausbausätze nach Deutschland geliefert werden. Deutsche Hersteller bedienen statt dessen den erstklassigen hochpreisigen Markt, der allerdings nur wenige 10 000 Wohnungen generiert.
These 4:
Weniger ist mehr – Reduktion der Individualität
Architektur ist gefrorene Musik soll Schopenhauer gesagt haben und drückt aus, dass die Architektur nicht umsonst zu den bildenden Künsten gerechnet werden muss. Erprobte, optimierte Bauformen und Bauverfahren können den Nutzen von seriellen Bauprozessen ausschöpfen und damit deutlich preiswertere Neubauergebnisse erzielen. Maßanzüge und Designerware kostet eben nicht nur bei der Kleidung entscheidend mehr als Konfektionsware in Standardgröße.
Während für die Produktion von Bauteilen für ein Einfamilienhaus in modernen Fabriken heute nur noch weniger als 200 Arbeitsstunden aufgewendet werden müssen, benötigt die Planung und Berücksichtigung individuellster Bauherrenwünsche häufig annähernd 300 Techniker- und Ingenieurstunden, bis die Produktion beginnen kann. Damit gehen die Kostenvorteile der industriellen Fertigung verloren. Baugleiche Reihenhäuser müssen billiger herstellbar sein als die vergleichbare Anzahl von Einzelstücken. Gleiches gilt selbstredend für fünfgeschossige Wohngebäude (Gebäudeklasse 4) die mit ca. 15 Wohnungen als bautechnisch günstig herstellbar gelten.
Planende Architekten und Ingenieure müssen deshalb ein höheres Honorar erhalten, wenn sie Baukosten verringern und nicht umgekehrt. Einmal gefundene Lösungen müssen an gleicher oder anderer Stelle dupliziert oder vervielfältig werden können. Dafür erteilte Zulassungen oder Genehmigungen müssen künftig ohne weiteres auf andere Bauprojekt übertragbar sein.
These 5:
Limitierender Faktor ist das Geld
Die Landesregierung in Baden-Württemberg möchte im laufenden Jahr die Rekordsumme von 1,5 Mrd. € an Landesfördergelder ausreichen. Gesetzt den Fall es würden damit tatsächlich die gewünschten 50 000 Wohnungen gebaut werden, wäre der Zuschuss umgerechnet durchschnittlich ca. 30 000 € pro Wohnung.
Bei den aktuellen Baukosten werden für die Herstellung der Wohnung und den Grunderwerb aber Steuern von mindestens 40 000 € pro Wohnung anfallen. Der Staat nimmt also tendenziell mehr ein als er ausgibt. Auch das führt dazu, dass sich mögliche Investoren zurückhalten. So ist es nur zu verständlich, dass mögliche Bauherren auch immer auf den Staat zeigen, der ihrer Meinung nach durch Grunderwerbsteuern, Gebühren und der sehr hohen Mehrwertsteuer das Bauen teuer gemacht hat.
Mögliche Investoren müssen deshalb für ihren Mut zu bauen belohnt werden. Neben richtig ausgestaltete und leicht verständliche Förderprogramme können deshalb auch reduzierte Steuersätze ein Weg sein den Neubau von Wohnungen anzuschieben.
Titelbild: Gerhard Lutz (li.) und Armin Bachmeyer