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Bild: Hannelore Wied

Zum 17. Juni 1953: Aus einem Streik der Bauarbeiter gegen die Normenerhöhungen formierte sich am 16. Juni 1953 ein Protestzug von der Stalinallee zum Haus der Ministerien in Ost-Berlin. Die Unruhen wuchsen. Die folgenden Zugeständnisse der DDR-Regierung überzeugten die Demonstranten nicht. Sie forderten nun auch die Absetzung der Regierung und freie Wahlen. Es kam zum Volksaufstand am 17. Juni 1953, der von russischen Besatzersoldaten brutal und blutig niedergeschlagen wurde. Es gab Tote und Verletzte auf beiden Seiten, viele Gefangene mit Haftstrafen bis zu 25 Jahren.

Auch im Kreis Freudenstadt leben Zeitzeugen dieser bedeutenden deutsch-deutschen Geschichte. Manche blicken auf ihre eigene Fluchtgeschichte oder die ihrer Eltern zurück. Zu einer Lesung mit Zeitzeugen und anschließender Diskussion lud die Senioren Union im Kreis Freudenstadt zu Kaffee und Kuchen ins Denkmal Waldlust nach Freudenstadt ein.

Zeitzeuge Günter Heschke, 1928 in Görlitz geboren, wurde noch in den letzten Kriegswochen mit gerade mal 15 Jahren zum Einsatz eingezogen. In Kaufbeuren kam er in Gefangenschaft bei den Amis. Er floh zu Fuß in die russisch besetzte Zone nach Hause, trotzte vielen Widrigkeiten. Als zurückkehrender ehemaliger NS-Soldat wurde er im Uranbergbau zwangsverpflichtet. Er floh das erste Mal in den Westen. Das Heimweh trieb ihn zurück nach Görlitz, in der Zeit als die DDR gegründet wurde. Er durchlebte den Aufbau des Sozialismus durch das SED-Regime. Die tägliche Versorgung wurde immer weniger, Repressalien, Angst und Misstrauen immer größer. Als aktiver Teilnehmer am 17. Juni 1953 wurde er abends von über 20 bewaffneten Russen zu Hause abgeholt, verhaftet und mehrfach verhört. Nach seiner Freilassung Ende September floh er auf direktem Weg nach Berlin mit einem LKW, dessen Fahrer ihm eine Fahrkarte nach Westberlin löste. Noch am selben Tag wurde er von Soldaten zu Hause bei seiner Mutter gesucht. Bis dahin wusste sie nicht, wo er nach dem 17. Juni abgeblieben war. Ein Telegramm von West-Berlin aus gab seinen sicheren Aufenthaltsort bekannt. Seine nächsten Stationen waren Flüchtlingslager in Berlin und Hamburg. Die erste Arbeit, die ihm gleichzeitig Papiere gewährte, war im fahrenden Zirkus Hagenbeck für eine Saison. Danach musste er wieder ins Flüchtlingslager zurück. Über Beziehungen bekam er Arbeit im Bergbau in Belgien. Dort erfuhr er voller Stolz und Freude zum ersten Mal, was und wie Demokratie sein muss, als er sein Motorrad erwerben konnte. Über Aachen kam Günter Heschke nach Freudenstadt und schließlich nach Dornstetten-Aach.

Günter Heschke und die anderen Volksaufständler hofften damals, dass der Westen sie in ihrem Freiheitskampf unterstützen würde. Heute sagt er im Rückblick, dass es vielleicht besser war, dass das nicht geschehen ist: „Wer weiß, was sonst noch passiert wäre …“ .

Neben Günter Heschke konnte die Senioren Union nach einem Suchaufruf weitere Zeitzeugen finden. Über 40 Jahre war Hartmut Wanski aus Schopfloch-Oberiflingen, als Lehrer an der dortigen Grund- und Hauptschule tätig. Als 12jähriger Schüler erlebte der heute 83jährige den Aufmarsch der T 34-Panzer, die aus den Kasernen von Wittenberg nach Leipzig rollten. Aus ihrem Versteck im dichten Wald verfluchten sie als Kinder die vorbeirasselnden Panzer: „Wenn wir eine Bazooka in der Hand hätten, würden wir im dichten Wald der Dübener Heide ein paar Panzer abschießen und schnell zwischen den Tännchen unerreichbar verschwinden … .“ Dieser Hass gegen die Unterdrückung der Demokratie blieb. „Ich weiß deshalb, was Kindersoldaten anrichten können,“ ergänzt Hartmut Wanski seine Empfindungen von damals.

Beide Zeitzeugen durchlebten in der DDR eine Zeit der Diktatur, in der eine freie Selbstbestimmung, freie Meinungsäußerung, Streik- und Demonstrationsrecht nicht erlaubt, sogar verboten, waren. Nach diesen Erfahrungen sind Günter Heschke und Hartmut Wanski froh, dass sie über 70 bzw. über 60 Jahre in einem demokratischen Staat leben durften. Mehr noch: sie sind der Überzeugung, dass die Demokratie der BRD die beste aller Staatsformen sei. Auch wenn politisch nicht immer alles optimal laufen würde, wünschen sie sich, dass das auch so bleibt. Sie hoffen, dass sich die politischen Tendenzen nicht wieder in die Richtung entwickeln, aus der sie mit viel Entbehrungen, Angst und Gefahren – gerade auch mit Blick auf den 17. Juni 1953 – fliehen konnten.

Als Zeitzeuge der nächsten Generation berichtet Olaf Peukert, der mit seiner Familie nach einem langen Prozess der Familienzusammenführung 1982 aus der DDR ausreisen konnte, von den Repressalien des SED-Regimes mit Bespitzelungen, Gefangennahmen, Folter und Gefängnisstrafen noch bis 1989. Manche seien auch plötzlich einfach weg gewesen, entweder wurden sie umgebracht oder in den Westen abgeschoben.  Schon als 3. Klässler wurde er im „Manöver Schneeflocke“ mehr oder weniger spielerisch in verpflichtenden Wehrübungen an der Schule unterrichtet.

36 Jahre, bis zur Wiedervereinigung, war der 17. Juni der Nationalfeiertag der BRD. Für beide Zeitzeugen und Teilnehmer am damaligen Geschehen steht fest, dass er es bleiben müssen hätte.

Die Textbeiträge aus der Biografie von Günter Heschke orientierten sich bei Zeitzeugen-Lesung am Ablauf der deutsch-deutschen Geschichte. Die Passagen ihres Vaters trug Alexandra Pfefferle vor, während die geschichtlich überlieferten Texte von der Vorsitzenden der Senioren Union Maria Klink und der Biografin Pascale Peukert passend ergänzt wurden.

Herbert Türk, Vorsitzender der Denkmalfreunde der Waldlust bedankte sich, dass die Zeitzeugen-Lesung im ebenso geschichtsträchtigen Ambiente stattfand und die Senioren Union mit der Wahl des Ortes auch die Arbeit der Denkmalfreunde unterstützte.

(1) Alles bereit für die Gäste  |  (2) Hier gehts lang  |  (3) Plaktausstellung Bundesstiftung Aufarbeitung @ Pascale Peukert

(4) Zeitzeuge Günter Heschke, geb. 1928 in Görlitz  |  (5) Zeitzeuge Hartmut Wanski, 83 Jahre alt  |  (6) Vorstellung der Denkmalfreunde Waldlust/Herbert Türk

(7) Gespanntes Zuhören  |  (8) Voll besetzter großer Saal  |  (9) Die Vorsitzende Maria Klink

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